Sowohl in Fachartikeln als auch auf internationalen Branchentreffen wird seit Längerem über die Halbierung der Einwirkzeit alkoholischer Hände-Desinfektionsmittel bei der hygienischen Händedesinfektion von 30 auf 15 Sekunden debattiert. Hier erfahren Sie, worum es in der Diskussion geht und was aus Anwendersicht dafür und aus Herstellersicht dagegen spricht.
Pro Verkürzung aus Anwendersicht: Bei Zeitdruck besser kurz als gar nicht desinfizieren!
Wenn Beschäftigte im Gesundheitswesen sich nicht immer streng nach Vorgaben die Hände desinfizieren, geschieht dies normalerweise nicht aus Faulheit, sondern oftmals schlicht aus Zeitdruck. Je invasiver jemand arbeitet und je mehr Fremdmaterialien dabei notwendig sind, desto mehr Indikationen für eine Händedesinfektion ergeben sich. Im intensivmedizinischen Setting könnte es beispielsweise leicht zu 200 täglichen Indikationen pro Patient/in kommen. Würde man eine Compliance-Rate von 80% annehmen, blieben hier pro Patient/in immer noch 40 Momente, in denen auf ein notwendiges Desinfizieren der Hände verzichtet wird! Um eine möglichst gute Händehygiene-Compliance zu erreichen, könnte die Verkürzung der Einwirkzeit bei der hygienischen Händedesinfektion aus Anwendersicht also durchaus hilfreich sein. Das belegt auch eine Studie, die der Frage nachging, wie häufig sich Beschäftigte die Hände desinfizieren und wie gut die Compliance eingehalten wird, wenn zuvor eine Einwirkzeit von 15 Sekunden implementiert wurde [1]. Dass die Prüfnormen von den Herstellern Tests mit einem großen Sicherheitspuffer verlangen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass alkoholische Hände-Desinfektionsmittel nicht wirken, wenn man die Einwirkzeiten verkürzt. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass auch innerhalb von 15 Sekunden Einwirkzeit eine ausreichende Wirksamkeit erreicht werden kann [2–5]. Dass die Anforderungen der Prüfnormen dabei nicht erfüllt werden, könnte für viele Beschäftigte in der stationären Versorgung weniger relevant sein als das Wissen, ihre Patient/innen selbst bei einer Einwirkzeit von 15 Sekunden schützen zu können.
Contra Verkürzung aus Herstellersicht: Wirksamkeit gemäß gültiger Norm gewährleisten und Volumen beachten!
Auch wenn der Wunsch aus Anwendersicht gut nachvollziehbar ist, durch eine möglichst kurze Einwirkzeit die Compliance erhöhen zu wollen, können Hersteller die Verkürzung der hygienischen Händedesinfektion auf 15 Sekunden aus regulatorischen Gründen nicht unterstützen. Sie unterliegen einem umfangreichen Regelwerk von Normen und Methoden, die genau festlegen, wie die Produkte geprüft werden müssen und was ausgelobt werden darf. Das bedeutet, dass Produkte, die auf Grundlage der aktuell gültigen EN-Normen geprüft wurden, z.B. EN 1500:2013, die Wirksamkeitsprüfung mit einer Einwirkzeit von mindestens 30 Sekunden erfolgen muss. Hersteller können somit für kürzere Einwirkzeiten keine zuverlässigen Aussagen machen. Wollen Anwender/innen dennoch von der ausgelobten Einwirkzeit abweichen, sollten sie für die jeweilige Verwendung selbstständig das Risiko bewerten. Außerdem sollte die Studienlage kritisch bewertet werden, weil Studien zur Verkürzung der Einwirkzeit oft nicht die methodischen Vorgaben der gültigen EN-Normen erfüllen [6]. Außerdem gilt es zu bedenken, dass für die Effektivität der hygienischen Händedesinfektion neben der Art des Desinfektionsmittels die vollständige Benetzung der Hände mit dem Desinfektionsmittel entscheidend ist! Diese hängt von der Menge des verwendeten Desinfektionsmittels (dem Volumen), der Einreibetechnik und der Einwirkzeit ab. Wird die Einwirkzeit auf 15 Sekunden reduziert, besteht das Risiko, dass eilige Anwender/innen ein zu geringes Volumen Hände-Desinfektionsmittel verwenden, um nach nur 15 Sekunden wieder trockene Hände zu haben. Hände sind jedoch komplizierte Oberflächen, und die Wichtigkeit des zu verwendenden Volumens wird oft unterschätzt. Wenn das Volumen zu gering ist, zieht das Desinfektionsmittel auf der Applikationsstelle ein oder verdunstet und kann nicht mehr auf dem Handrücken, zwischen den Fingern und auf den Fingernägeln verteilt werden. Kurzum: Wenn das Volumen reduziert wird, ist keine ausreichende Benetzung der Hände gewährleistet, was auf Kosten der Wirksamkeit geht.
Fazit: In der Diskussion über Compliance sollte nicht nur betrachtet werden, ob eine Händedesinfektion durchgeführt wurde. Entscheidend ist, ob die durchgeführte Händedesinfektion auch tatsächlich effektiv ist. Dass durch eine Verkürzung der Einwirkzeit bei der alkoholischen Händedesinfektion der Schutz von Patient*innen und Klinikpersonal riskiert wird, kann nicht sicher ausgeschlossen werden.
Quellen:
- Kramer A et al. (2017) Shortening the application time of alcohol-based hand rubs to 15 seconds may improve the frequency of hand antisepsis actions in a neonatal intensive care unit. Infect Control Hosp Epidemiol 38: 1430–1434. https://doi.org/10.1017/ice.2017.217
- Pires D et al. (2017) Hand hygiene with alcohol-based hand-rub: How long is long enough? Infect Control Hosp Epidemiol 38: 547–552. https://doi.org/10.1017/ice.2017.25
- Harnoss JC et al. (2020) Hand antisepsis without decreasing efficacy by shortening the rub-in time of alcohol-based handrubs to 15 seconds. J Hosp Infect 104: 419–424. https://doi.org/10.1016/j.jhin.2019.09.004
- Pires D et al. (2019) Antibacterial efficacy of handrubbing for 15 versus 30 seconds: EN 1500-based randomized experimental study with different loads of Staphylococcus aureus and Escherichia coli. Clin Microbiol Infect 25: 851–856. https://doi.org/10.1016/j.cmi.2018.10.012
- Paula H et al. (2018) Wettability of hands during 15-second and 30-second handrub time intervals: A prospective, randomized crossover study. Am J Infect Control 46: 1032–1035. https://doi.org/10.1016/j.ajic.2018.02.015
- Eggerstedt S et al. (2018) Alcohol-based hand rubs must meet the requirements of EN 1500. Infect Control Hosp Epidemiol 39: 1018. https://doi.org/10.1017/ice.2018.129