Die COVID-19-Pandemie hat das Bewusstsein für das Thema Hygiene in der Politik sowie auch bei Behörden und in der Allgemeinbevölkerung enorm gesteigert. Hygienische Maßnahmen wie Hände-, Flächen- und Instrumentendesinfektion gehören allerdings nicht erst seit Pandemiebeginn, sondern bereits seit Jahrzehnten zu den Kernkomponenten der Infektionsprävention in Gesundheitseinrichtungen und tragen wesentlich dazu bei, nosokomiale Infektionen (NI) aller Arten zu reduzieren. Verschiedene Quellen legen nun nahe, dass die NI-Rate in US-amerikanischen und deutschen Kliniken jedoch im Zuge der Pandemie gestiegen ist [1, 2]. Doch was ist an der Beobachtung dran und welche Umstände könnten dazu beigetragen haben?
Geräte-assoziierte bakterielle Infektionen nahmen in den USA stark zu
Eine aktuelle Publikation von Weiner-Lastinger et al. weist darauf hin, dass mit Beginn der Pandemie in den USA vor allem die Raten Katheter-assoziierter Blutstrom- und Harnwegsinfekte, Beatmungs-assoziierter Infektionen sowie Infektionen mit Methicillin-resistenten S. aureus (MRSA) angestiegen sind [1]. Dabei vergleicht der Artikel die Jahre 2019 und 2020 anhand von Daten, die auf den an das National Healthcare Safety Network berichteten Ereignissen dieses Zeitraums basieren. So nahmen beispielsweise in US-amerikanischen Krankenhäusern der Akutversorgung im 4. Quartal 2020 die Raten Katheter-assoziierter Blutstrominfekte um 47% und Beatmungs-assoziierter Infektionen um 44,8% im Vergleich zum Vorjahr zu [1]. Auch der Zuwachs bei Bakteriämien durch MRSA war mit etwas über einem Drittel sehr deutlich [1]. Das Forschungsteam betont jedoch, dass pandemiebedingte Faktoren wie längere Krankenhausaufenthalte, ein längerer Einsatz medizinischer Geräte sowie Komorbiditäten und die größere Akuität der Patientenfälle diese Entwicklung beeinflusst haben könnten. Außerdem könnten die veränderten Abläufe und personellen Engpässe zu der Situation beigetragen haben. Zu guter Letzt betont das Autorenteam, dass amerikanische Krankenhäuser dringend Lücken in der Infektionsprävention identifizieren und entsprechende Programme zum Infektionsschutz implementieren sollten, welche den Trend stoppen bzw. umkehren können [1].
BARMER Krankenhausreport 2021 berichtet ebenfalls Zunahme nosokomialer Infektionen in deutschen Kliniken
Auch in Deutschland wurden Daten zur Entwicklung der NI-Raten während der Pandemie zusammengetragen. So führte das BARMER Institut für Gesundheitsforschung (bifg für den BARMER Krankenhausreport 2021 Analysen durch, die auf etwa 8,8 Millionen Versichertendaten beruhen [2]. Dabei zeigte sich, dass die COVID-19-Pandemie dem positiven Trend der Pandemievorjahre hinsichtlich der NI-Raten offensichtlich einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Im ersten Pandemiejahr 2020 stieg die NI-Rate nämlich laut dem Bericht mit einem Anteil von 6,3% im Vergleich zu 5,5–5,7% für 2017 bis 2019 insgesamt an – und das, obwohl ca. 15% weniger Fälle im Krankenhaus behandelt wurden [2]. Der Einbruch der Fallzahlen lässt sich leicht mit dem pandemiebedingten Vorhalten von Krankenhauskapazitäten erklären, jedoch findet das Forschungsteam keine eindeutige Erklärung für die gestiegenen NI-Raten. Ähnlich wie Weiner-Lastinger et al. kommen die Berichtenden zu dem Schluss, dass multifaktorielle Einflüsse wie das besonders vulnerable Patientenklientel, aber auch Engpässe bei der Schutzausrüstung und die hohe Belastung des Personals die Zahlen beeinflusst haben könnten [2].
Keine Zunahme Geräte-assoziierter Infektionen auf deutschen Intensivstationen laut NRZ
Die vom bifg ausgewerteten Daten beruhen jedoch auf Versichertendaten und haben eher informellen Charakter. Im Gegensatz dazu werden NI verschiedener Risikobereiche (z.B. Intensivstation, Post-OP, neonatale Intensivstation) in Deutschland offiziell vom Nationalen Referenzzentrum (NRZ) im sogenannten KISS (Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System) erhoben und auch auszugsweise an die European Centres for Prevention and Disease Control (ECDC) weitergeleitet. Ein Forschungsteam des NRZ um Direktorin Prof. Petra Gastmeier hat die Daten zu Geräte-assoziierten NI für 2020 nun ausgewertet und veröffentlicht [3]. Das Überraschende: Anders als im BARMER Krankenhausreport 2021 und in der Veröffentlichung der amerikanischen Daten wird dabei keine Zunahme von Infektionen festgestellt, sondern eine weitestgehend stabile Situation auf deutschen Intensivstationen bescheinigt [3]. Das Team macht allerdings auch darauf aufmerksam, dass die COVID-19-Inzidenz 2020 in Deutschland niedriger war als in den USA, mehr Intensivbettenkapazitäten pro Einwohner vorhanden waren als in anderen Ländern und sich der Patientenmix anders als gewohnt zusammensetzte (Verschieben elektiver Eingriffe etc.) [3].
Fokus der Hygiene während Pandemie anders als sonst
Insgesamt sind auf Landesebene erhobene Daten schwer international vergleichbar und erlauben keine voreiligen allgemeinen Rückschlüsse, etwa auf unzureichende Hygiene in bestimmten Ländern. Auch Unterschiede innerhalb eines Landes – wie zwischen NRZ und bifg identifiziert – können meist auf Unterschiede bei der Abgrenzung verschiedener Risikobereiche und bei der Datenerhebung zurückgeführt werden. Fest steht, dass die vollständige Aufarbeitung der Pandemiejahre in vielerlei Hinsicht noch dauern wird und auch abzuwarten bleibt, wie sich die NI-Raten in den kommenden Jahren entwickeln werden. Denkbar ist auch, dass besonders in der Anfangszeit der Pandemie der hygienische Schwerpunkt in Kliniken sehr stark auf der persönlichen Schutzausrüstung (Masken, Handschuhe, Kittel) lag und die Basishygiene, d.h. die Hände- und Flächenhygiene, zeitweise etwas aus dem Fokus geriet. Eines ist nämlich gewiss: Um gute Hygiene umzusetzen, braucht es nicht nur qualitativ hochwertige und wirksame Produkte, sondern auch deren Anwendung im Alltag durch das Klinikpersonal. Im Umkehrschluss steigt das Risiko für NI selbstverständlich bei schlechter Ausstattung oder zu hoher personeller Belastung.
Quellen:
- Weiner-Lastinger LM et al. (2022) Infect Control Hosp Epidemiol 43: 12–25. https://doi.org/10.1017/ice.2021.362
- BARMER (2021) BARMER Krankenhausreport 2021. https://www.bifg.de/publikationen/reporte/krankenhausreport-2021 (abgerufen am 12.10.2022)
- Geffers C et al. (2022) Antimicrob Resist Infect Control 11: 67. https://doi.org/10.1186/s13756-022-01108-9